Mittwoch, 23. November 2011

Leserkommentar zu einem Gastbeitrag im "Tagesspiegel" vom 22.11.2011 und der "Zeit" vom 23.11.2011

Bezug: Beitrag von Frau Muriel Asseburg
http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/syrien-keine-militarisierung-des-konfliktes-foerdern-/5874838.html
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-11/Syrien-opposition-bewaffnung

Sehr geehrte Frau Asseburg,

Ihr Beitrag hat leider mit Wissenschaft nicht viel zu tun, sondern ist - wie z.Z. üblich in der deutschsprachigen Presse - einseitig, tendenziös und polemisch. Hier einige Beispiele:

"Es hat weder die Gewalt eingestellt noch Beobachter und ausländische Journalisten zugelassen"
Die syrische Regierung (nicht das "Regime"!) REAGIERT auf Gewalt. Sehen Sie sich andere deutschaprachige Artikel an! Zum Beispiel schreibt die "taz" von "schwer gerüsteten, professionellen Kriegern". Sie selber schreiben von Deserteuren, die "zunehmend Anschläge auf Sicherheitskräfte und Einrichtungen des Regimes" verüben. ZUNEHMEND !? Wie soll Ihrer Meinung nach die Regierung auf diese Anschläge reagieren? Welcher Staat der Welt sieht tatenlos zu, wenn die innere Sicherheit, einschließlich der Sicherheit der Bürger, bedroht wird? In Syrien müssen inzwischen regelmäßig Bomben entschärft werden.
An dieser Stelle sei daraufhingewiesen, dass es bereits im Monat April diesen Jahres 50 Tote unter den syrischen Sicherheitskräften gab. Vom 25.März (!) stammt die Meldung, dass im Gebiet von Daraa eine Polizeistation geplündert wurde, das Feuer auf einen Kontrollpunkt der Armee eröffnet und in Homs ein Offiziersclub überfallen wurde. Das Massaker von Jisr al-Shoghour wurde von vielen ausländischen Journalisten bestätigt. Auch in den letzten Wochen sind immer wieder Journalisten in die "Protesthochburgen" Homs und Hama gereist und haben die Folgen von Vandalismus und Zerstörung, die sich gegen staatliche Einrichtungen richteten, begutachtet. Erst am 21.11. waren wieder Medienvertreter aus Ägypten, Schweden und Spanien vor Ort. Somit entspricht Ihre Behauptung, Syrien würde keine ausländischen Journalisten zulassen, definitiv nicht der Wahrheit. Wer hat B. Shaaban interviewt? Und wer erst vor wenigen Tagen den Präsidenten selber?
Was internationale Beobachter angeht, so hat Syrien sogar um deren Entsendung GEBETEN. Das ist allerdings irgendwie "überhört" worden ...

"Die Demonstrationen haben mittlerweile auch die beiden größten syrischen Städte, Damaskus und Aleppo, erfasst."
Das ist richtig. In beiden Städten sind Hundertausende Menschen auf die Straßen gegangen - und zwar FÜR ihren Präsidenten! Warum lassen Sie dieses Detail weg? Ist die Stimme des Volkes irrelevant?

"Die UN beziffern die Opfer der seit acht Monaten andauernden Auseinandersetzugen auf rund 3500 Tote sowie Zehntausende von Verletzten und Verhafteten, beziehungsweise Entführten."
Wieviele tote Soldaten, Polizisten und Angehörige anderer Sicherheitskräftes sind in dieser Zahl mit erfasst? Von wem wurden all diese Menschen getötet? Was ist mit den ermordeten Anhängern der Regierung? Was mit den ermordeten Wissenschaftlern? Was mit dem ermordeten Sohn des Großmuftis von Syrien?
Ähnliche Fragen kann man zu dem Thema "Entführte" stellen. Ein gutes Beispiel dafür ist der aus seinem Haus entführte Brigadegeneral Radwan al-Madloush, von dem wenige Tage später ein Video auf YouTube auftauchte, das seine korrekte Stellung bei der Armee verdeutlichte:  Air Force Intelligence Brigadier General. Einen Monat später tauchte der Mann als Leiche mit Kugeln in Hand, Rücken und Kopf wieder auf - und weitere drei Tage später geschah der Überfall auf eine Basis des Luftwaffengeheimdienstes... Betreiben Sie Politikwissenschaft und lesen Sie die Nachrichten! Sie sind voll von Entführungsopfern, die, wenn sie Glück haben, gegen Lösegeld wieder frei kommen. Meist tauchen sie allerdings - wenn die Armee nicht schnell genug ist - als Leichen wieder auf.

"Es ist offensichtlich, dass die politische Führung auf Repression setzt, um die Protestbewegung zu unterdrücken, und nicht bereit ist, über einen Machtverzicht zu verhandeln oder auch nur ernsthafte politische Zugeständnisse zu machen."
Woraus ist das offensichtlich? Welche wissenschaftlichen Grundlagen haben Sie für diese Behauptung?
Ist Ihnen schon aufgefallen, dass die syrische Regierung Entwürfe zur Neuerarbeitung von Parteien- und Mediengesetz IN´S INTERNET GESTELLT hat? Das die Bevölkerung zur Diskussion darüber aufgerufen worden ist? Haben Sie bei Ihren wisssenschaftlichen Studien so viel Demokratie schon mal in einem anderen Land erlebt? Wissen Sie, dass eine Kommission zur Zeit die Überarbeitung der Verfassung vorbereitet? Dass der Präsident vorgeschlagen hat, seine eigene Amtszeit auf zwei Wahlperioden zu beschränken? (Eine solche Einschränkung gibt es in Deutschland nicht.)

"Zugleich hat sich die Anti-Regime-Opposition in Reaktion auf die Übergriffe des Sicherheitsapparates und der vom Regime bezahlten Shabiha-Banden bewaffnet..."
Falsch. Ihr Satz verdreht eindeutig die Tatsachen. Die "Anti-Regime-Opposition" war von Anfang an bewaffnet. Und sie ist auch von Anfang an gewaltsam vorgegangen. Es gibt einen Twitter-Eintrag vom 18.März (dem Beginn des "Aufstandes"), in dem darüber gejubelt wird, dass die Sicherheitsdienste in Daraa angegriffen werden. Auf der Facebook-Seite "The Syrian Revolution 2011", die von den Moslembrüdern betrieben wird, gibt es einen Eintrag vom gleichen Tag, der erklärt: "6 Wagen der Sicherheitskräfte wurden verbrannt". Und die Schweizer "nzz" schrieb, dass in Daraa "schon zu Beginn des Aufstandes" Gebäude angezündet wurden. Das alles dürfte Ihnen bei Ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht entgangen sein.

"Auch wenn Präsident Bashar al-Asad ganz überwiegend nicht mehr als Stabilitätsfaktor gesehen wird" - Das sehen die Syrer aber ganz anders. Sind Ihnen in den letzten Wochen die Millionen Menschen aufgefallen, die nahezu täglich auf Syriens Straßen und Plätzen FÜR Ihren Präsidenten demonstrieren? Wenn nicht, sehen Sie mal in diesem Blog nach! Hier gibt´s reichlich Fotos und Videos dazu.

Sehr interessant ist Ihre Bemerkung, dass das Scheitern der Initiative der Arabischen Liga eingeplant war. Man macht einen Plan, von dem man von vornherein weiß, dass er nicht funktionieren kann - weil er das eben auch gar nicht sollte. So deutlich wie Sie hat das bisher noch kaum jemand ausgedrückt.

Was den Ausschluss Syriens aus der Arabischen Liga betrifft, so ist an diesem Beispiel sehr deutlich geworden, dass der "Aufstand" in Syrien von außen gesteuert wird. Der Ausschluss widerspricht nämlich dem eigenen Statut der Liga. Ein solches Verfahren darf gar nicht auf Außenministerebene geführt werden, der Entschluss muss einstimmig angenommen werden und überhaupt darf ein solches Verfahren nur bei Konflikten zwischen (mindestens) zwei arabischen Staaten eröffnet werden. Alle drei Voraussetzungen waren im Falle Syriens nicht gegeben (aber als Politikwissenschaftlerin wissen Sie das mit Sicherheit). Und WIESO hat an der entscheidenden Sitzung der stellvertretende amerikanische Außenminister teilgenommen? Was hat der bei einer Sitzung der Arabischen Liga zu suchen?

Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn Sie als Leiterin einer "Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika" und damit Beraterin von Bundestag und Bundesregierung objektiver mit den Realitäten umgehen würden.

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